Psychotherapie: Trend oder Tabu?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Therapie für die jüngere Generation fast schon als cool angesehen wird, während sie in älteren Altersgruppen oft noch als Tabu gilt. Für die Gen Z ist es mittlerweile normal, offen über psychische Gesundheit zu sprechen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Obwohl das Bewusstsein also für psychische Gesundheit in den letzten Jahren gestiegen ist, gibt es nach wie vor viele Hemmnisse, die Menschen davon abhalten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch was sind die Gründe und warum sollte eine Psychotherapie nie ein Trend werden?
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Gefahren der „Pop-Psychologie“
In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung von Psychotherapie, besonders bei der jungen Generation, grundlegend gewandelt: Therapie wird zunehmend als Zeichen von Achtsamkeit und persönlichem Wachstum wahrgenommen. Diese positive Entwicklung bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich: Therapie könnte als kurzfristiger Trend missverstanden werden, anstatt als ernsthafte Maßnahme zur Verbesserung des Wohlbefindens.
Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok werden häufig psychologische Begriffe von Laien verwendet, was die Verbreitung von gefährlichem Halbwissen fördert. Ein häufiges Beispiel: Junge Menschen sprechen über ihre Ex-Beziehungen und prägende Verhaltensmuster, die sie bei ihren Partnern erlebt haben. Schnell werden solche Merkmale dann in Schubladen gesteckt und diagnostiziert – Ex-Partner:innen wird narzisstische Persönlichkeitsstörung unterstellt. User:innen sprechen auch oft leichtfertig von „Trauma“, Depressionen oder negativen Erlebnissen, und bezeichnen bestimmte Erfahrungen vorschnell als „Trigger“.
Das sorgt dafür, dass komplexe psychologische Begriffe oberflächlich und oft ungenau verwendet werden. Dadurch verlieren sie an Bedeutung und verzerren das Verständnis für echte psychische Probleme. Ein reflektierter und verantwortungsbewusster Umgang mit psychologischen Themen ist wichtig, um die Bedeutung professioneller Unterstützung und das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu wahren. Es ist wichtig, das Thema Psychotherapie tiefgründiger zu behandeln und zu erkennen, dass es sich um einen individuellen Prozess handelt, der weit über Social Media Trends hinausgeht.
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Stigmatisierung und Vorurteile
Trotz des steigenden Interesses an psychischer Gesundheit ist das Stigma rund um Psychotherapie weiterhin stark: Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie sich schämen müssen, wenn sie Hilfe suchen, weil es als Zeichen von Schwäche wahrgenommen wird. Besonders Männer glauben, sie wären schwach, wenn sie sich den eigenen Ängsten und Konflikten stellen. Diese Vorurteile hindern viele daran, sich zu öffnen und Unterstützung zu suchen. Es ist wichtig, diese falschen Vorstellungen zu hinterfragen und die Therapie als einen ganz normalen Teil der Gesundheitsvorsorge zu betrachten – so wie man auch für körperliche Beschwerden zum Arzt geht.
Missverständnisse über den Therapiebedarf
Ein verbreitetes Missverständnis ist, dass man nur zur Therapie gehen sollte, wenn man ernsthafte Probleme hat. Viele Menschen glauben zudem auch, dass sie erst in einer Krise Hilfe brauchen. Dabei ist Therapie nicht nur für akute Krisen gedacht. Genauso wie man ins Fitnessstudio geht, um die eigene Fitness zu verbessern, kann Therapie helfen, das mentale Wohlbefinden zu fördern. Wer regelmäßig an seinen Herausforderungen arbeitet, kann ein erfüllteres und stressfreieres Leben führen. Eine präventive Herangehensweise ist deshalb wichtig, um frühzeitig an der eigenen psychischen Gesundheit zu arbeiten.
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Finanzielle Überlegungen
Die Kosten für eine Therapie sind ein weiteres großes Hindernis: Viele Menschen scheuen sich, in ihre psychische Gesundheit zu investieren, weil sie die finanziellen Aspekte als belastend empfinden. Oftmals wird Therapie als teuer angesehen, ohne die langfristigen Vorteile zu berücksichtigen. Dabei gibt es in vielen Ländern Unterstützung durch Krankenkassen oder Stiftungen, die eine Therapie günstiger machen können. Es ist wichtig, sich ausreichend über unterstützende Angebote zu informieren und die eigene Gesundheit als wertvolle Investition zu betrachten und nicht als lästige Ausgabe.
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Soziale Unterstützung vs. Professionelle Hilfe
Ein weiterer Grund, warum viele Menschen auf Psychotherapie verzichten, ist die Annahme, dass sie ihre Probleme auch ohne professionelle Hilfe bewältigen können. Gespräche mit Freunden oder Familie können zwar hilfreich sein, aber sie können die Expertise eines Therapeuten oder einer Therapeutin nicht ersetzen. Therapeut:innen bieten eine unvoreingenommene Perspektive und haben das Wissen, um in komplexen emotionalen Situationen zu unterstützen. Oft ist die Beziehung zu eine:r Therapeut:in eine andere, intimere Art der Unterstützung, die es ermöglicht, tiefere Themen anzusprechen, ohne Angst vor Verurteilung zu haben.
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Angst vor der Therapieerfahrung
Angst vor dem Unbekannten hält viele davon ab, eine Therapie zu beginnen. Die Vorstellung, sich mit den eigenen inneren Konflikten auseinanderzusetzen, kann beängstigend sein. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass Therapie ein Prozess ist, der nicht sofortige Lösungen bietet, sondern Unterstützung beim Umgang mit Herausforderungen. Eine erfahrene Therapeut:in hilft, Probleme aus einer neuen Perspektive zu betrachten und Wege zu finden, sie zu bewältigen. Der therapeutische Raum ist ein sicherer Ort, um offen über alles zu sprechen, was einen belastet.
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Fehlende Chemie
Negative Erfahrungen mit Therapeut:innen können dazu führen, dass Menschen die Psychotherapie als Ganzes ablehnen. Es gibt gute und schlechte Fachleute, und manchmal passt die Chemie einfach nicht. Wichtig ist, dass man nicht beim ersten Versuch bleibt, sondern bereit ist, mehrere Therapeut:innen auszuprobieren, um den richtigen zu finden. Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse, und die Auswahl der Therapeut:in sollte sorgfältig erfolgen. Eine passende Beziehung kann den Therapieerfolg stark beeinflussen.