Pflege am Lebensende
Pflege – ein Thema, das uns alle früher oder später betrifft, über das aber kaum jemand gerne spricht. Ob Alter, Krankheit oder Unfall: Irgendwann kommen wir oder unsere Angehörigen an den Punkt, an dem Unterstützung im Alltag notwendig wird. Und genau dann zeigt sich, wie wichtig ein funktionierendes Pflegesystem ist.
Doch dieses System steht unter großem Druck. Die Menschen werden immer älter, die Pflegebedürftigkeit steigt, aber Pflegekräfte sind rar und oft überlastet. Die Frage ist also: Wie können wir dieses Problem lösen, bevor es uns überrollt? Sabine Pleschberger, neue Professorin für Pflegewissenschaft an der Medizinischen Universität Wien, hat darauf eine Antwort.
Österreich steckt in einer tiefen Pflegekrise
Pflege ist ein Thema, das uns alle betrifft – spätestens dann, wenn wir selbst oder unsere Angehörigen pflegebedürftig werden. Doch genau hier beginnt das Problem: Die Zahl der Menschen, die Pflege benötigen, steigt in Österreich wie in vielen anderen Ländern rasant, während die Zahl der Pflegekräfte, die diese Menschen betreuen können, bei weitem nicht Schritt hält.
„Die Schere zwischen dem wachsenden Pflegebedarf und den verfügbaren personellen Ressourcen geht immer weiter auseinander“, warnte Pleschberger in ihrer Antrittsvorlesung eindringlich. Das führt nicht nur zu einer Überlastung des Pflegepersonals, sondern setzt auch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen massiv unter Druck. Denn je weniger Pflegekräfte zur Verfügung stehen, desto schwieriger wird es, eine angemessene Betreuung zu gewährleisten.
Befeuert wird diese Krise vor allem durch die demografische Entwicklung: Die Gesellschaft altert, und mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, auf Pflege angewiesen zu sein. Laut Prognosen wird der Bedarf an professionellen Pflegedienstleistungen in den kommenden Jahren weiter massiv zunehmen.
„Wenn wir nicht handeln, wird die Situation für Pflegekräfte, Angehörige und vor allem für die Pflegebedürftigen unerträglich“, so Pleschberger. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, erhält Pleschberger Unterstützung vom Verein „PflegerIn mit Herz“, der ihre Berufung über drei Jahre mit 1,5 Millionen Euro fördert. Der Verein setzt sich seit Jahren für ein stärkeres Bewusstsein für die Pflege ein und will mit der Förderung dazu beitragen, die Pflegewissenschaft in Österreich nachhaltig zu etablieren.
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Pflegewissenschaft – ein Fach im Schatten
Doch was ist Pflegewissenschaft eigentlich? Und warum hat es so lange gedauert, bis sie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin anerkannt wurde? Pleschberger erklärte in ihrem Vortrag, dass Pflege historisch oft als reiner „Assistenzberuf“ gesehen wurde – ein Beruf, der im 19. Jahrhundert vor allem Frauen vorbehalten war und in dem die wissenschaftliche Auseinandersetzung lange Zeit keine Rolle spielte.
Dieses Bild hält sich teilweise bis heute, was dazu führt, dass die wissenschaftliche Forschung zur Pflege und die Entwicklung neuer Ansätze und Methoden in der Öffentlichkeit oft nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. „Pflege ist viel mehr als ein Handwerk oder ein Dienstleistungsberuf“, betonte die Pflegewissenschaftlerin. „Sie ist eine hochkomplexe Aufgabe, die tief in gesellschaftliche Strukturen eingebettet ist.“
Würdevolle Betreuung am Lebensende
Die Pflegewissenschaft muss sich genau mit diesen Strukturen auseinandersetzen und Lösungen erarbeiten, wie wir die Pflege in Zukunft besser gestalten können. Ein besonderes Anliegen von Pleschberger ist dabei die Überwindung der Ausgrenzung von pflegebedürftigen und sterbenden Menschen in der Gesellschaft. Diese betrifft nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Pflegenden.
„Seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn setze ich mich dafür ein, gegen die gesellschaftliche Abwertung von Pflegebedürftigkeit vorzugehen“, sagt sie. Gerade am Lebensende, wenn Menschen besonders verletzlich sind, zeigt sich diese gesellschaftliche Marginalisierung oft sehr deutlich.
Die Hospizbewegung und das Konzept der Palliative Care, die sich beide für eine würdevolle Betreuung von Menschen am Lebensende einsetzen, hätten hier wichtige Schritte gesetzt. Doch es bleibt noch viel zu tun. „Pflege und Sterben gehören zum Leben“, so Pleschberger. „Und wir müssen uns als Gesellschaft damit auseinandersetzen.“
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Schlüsselrolle der Zusammenarbeit
Eines der Hauptziele von Pleschberger ist es, mit ihrer Forschung nicht nur theoretisches Wissen zu schaffen, sondern Lösungen zu finden, die in der Praxis wirklich helfen. „Wissen muss im Anwendungskontext entstehen, nicht im Elfenbeinturm“, betont sie.
Deshalb setzt sie auf transdisziplinäre Forschung – ein Ansatz, bei dem nicht nur Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten, sondern auch Pflegekräfte, Patient:innen und Angehörige einbezogen werden. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, um praktische Lösungen zu entwickeln, die den Menschen im Alltag helfen.
Besonderes Augenmerk legt die Expertin dabei auf die Pflege älterer Menschen, vor allem im häuslichen Umfeld. Hier stoßen sowohl das Pflegepersonal als auch die Familien, die oft einen Großteil der Pflegearbeit übernehmen, an ihre Grenzen.
„Wir müssen Wege finden, diese Menschen besser zu unterstützen“, erklärt Pleschberger. Denn gerade die häusliche Pflege, die für viele Menschen die bevorzugte Betreuungsform ist, steht unter enormem Druck. Hier gilt es, die Pflegenden zu entlasten und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Pflegebedürftigen die bestmögliche Betreuung erhalten.
Pflege betrifft uns alle
Ein zentrales Anliegen von Pleschberger ist es, das Thema Pflege in die gesellschaftliche Diskussion zu bringen. „Hilfe- und Pflegebedürftigkeit sowie das Sterben sind Teil des Lebens und betreffen uns alle“, sagte sie. „Deshalb müssen wir darüber sprechen – nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.“
Nur so kann ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie wichtig Pflege ist und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Pleschberger fordert einen offenen Dialog über die Zukunft der Pflege – einen Dialog, der alle Teile der Gesellschaft einbezieht. Denn der Pflegenotstand ist nicht nur ein Problem der Pflegenden und der älteren Menschen, sondern betrifft uns alle: als potenziell Pflegebedürftige, als Angehörige oder als Teil einer Gesellschaft, die sich um ihre Schwächsten kümmern muss.
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