Orthorexie: Wenn gesund essen krankhaft wird

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Der schmale Grat zwischen Gesundheit und Orthorexie

Für viele Menschen ist es ein Ziel, sich gesünder zu ernähren. Mehr Gemüse, Obst und Vollkornprodukte, weniger verarbeitete Lebensmittel und Fast Food. Doch es gibt auch eine ungesunde Form dieser gesunden Ernährung: die Orthorexie. Dabei handelt es sich um das Phänomen, dass Menschen nur sehr wenige, ausgewählte Lebensmittel essen. Der Begriff, der sich aus den griechischen Wörtern „orthos“ (richtig) und „orexis“ (Appetit) ableitet, beschreibt eine krankhafte Fixierung auf gesundes Essen. Während gesunde Ernährung grundsätzlich positiv bewertet wird, kann der Wunsch nach gesundem Essen bei manchen Menschen zu einer Obsession werden. Diese als Orthorexia nervosa bekannte Obsession kann zu schwerwiegenden gesundheitlichen und sozialen Problemen führen. Doch ab wann wird gesundes Essen ungesund? Und wie kommt man aus dieser Spirale heraus?

So entsteht Orthorexie

Orthorexie kann verschiedene Entstehungsgründe haben. Oft beginnt sie mit dem harmlosen Wunsch, gesünder zu leben. Doch dann kann es schnell in eine Richtung gehen, die nicht so gesund ist. Immer mehr Lebensmittel werden „verboten“, darunter auch vitaminreiche, aber für Orthorexie-Betroffene zuckerhaltige Obstsorten wie Nektarinen, Bananen, Pfirsiche oder Weintrauben. Auch jegliche Form von Kohlenhydraten wird vom Essen ausgeschlossen, selbst stärkehaltige Gemüsesorten wie Kartoffeln, Kürbis oder auch Mais stehen nicht mehr auf dem Speiseplan – zu viele Kalorien. Öle und gesunde Fette werden ebenso gestrichen wie Salatdressings – zu fett und zu kalorienreich. Gemüse wird gekocht statt gegrillt, Fleisch und Fisch nur gedünstet – wenn überhaupt tierische Produkte „erlaubt“ sind. Auch Eiweißriegel, sogar bei figurbewussten Fitnessfans beliebt, sind tabu: Zu viel Zucker und Schokoladenüberzug ist sowieso ein No-Go.

Influencer:innen und Medien verstärken diese Tendenz, indem sie strenge Diäten, „What I eat in a day“-Postings mit teilweise sehr kalorienarmen Lebensmitteln und Superfoods propagieren. Auch persönliche oder familiäre Gesundheitsprobleme können ein Auslöser sein. In einigen Fällen spielt der Wunsch nach Kontrolle über das eigene Leben eine zentrale Rolle, insbesondere in Zeiten von Stress oder Unsicherheit. Psychologische Faktoren wie Perfektionismus können die Entwicklung einer Orthorexie begünstigen.

 

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Auswirkungen: Der Preis der Perfektion

Die Auswirkungen der Orthorexie sind vielfältig und reichen von physisch bis psychisch: Betroffene verbringen durch ihr restriktives Essen übermäßig viel Zeit damit, ihre Mahlzeiten zu planen und zu kontrollieren. Selbst ein Abendessen mit Freunden kann zu einer echten Herausforderung für alle Beteiligten werden. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, werden diese meist erst gar nicht wahrgenommen oder abgesagt, aus Angst, die strikte Diät nicht einhalten zu können. Um die Kontrolle über die Ernährung zu behalten, buchen Menschen mit Orthorexie ihre Urlaube bevorzugt in Unterkünften mit Selbstverpflegung. Auf diese Weise können sie ihre Mahlzeiten selbst zubereiten und sicherstellen, dass ihre speziellen Diätbedürfnisse erfüllt werden. Da die Ernährung extrem eingeschränkt wird und die Betroffenen strikt fast alle Lebensmittel vermeiden, entstehen viele negative Folgen. Es kann zu Mangelernährung und gesundheitlichen Problemen wie plötzlicher Gewichtsverlust, Haarausfall, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten führen. Psychisch manifestiert sich die Krankheit in Ängsten, Schuldgefühlen und sozialem Rückzug. Sogar Angstzustände und Depressionen können nach einer Zeit auftauchen. Das tägliche Leben wird dominiert von der Planung und Kontrolle der Ernährung, was zu einem Verlust von Lebensqualität führt. Die Fähigkeit, spontane Entscheidungen zu treffen, geht verloren, und das ständige Bedürfnis nach Kontrolle kann auch andere Lebensbereiche negativ beeinflussen.

Wege aus der Orthorexie

Die Behandlung von Orthorexie braucht einen umfassenden Ansatz, der sowohl die psychologischen als auch die ernährungsbedingten Aspekte berücksichtigt. Wenn man sich betroffen fühlt, ist es zunächst wichtig, das eigene Verhalten genauer zu betrachten und die möglichen Auslöser zu erkennen. Der nächste Schritt besteht darin, die Ernährung unter die Lupe zu nehmen – am besten mit Unterstützung eines Ernährungsberaters. Hierbei geht es darum, eine gesunde Balance zu finden und verschiedene Nahrungsmittel wieder in den Alltag einzuführen.

Ein guter Start könnte sein, kalorienreiche, aber gesunde Lebensmittel wie Olivenöl, diverse Obst- und Gemüsesorten sowie nahrhafte Optionen wie Avocados in die Ernährung aufzunehmen. Dann sollte man schrittweise Lebensmittel, die zuvor gemieden wurden und als „ungesund“ gelten, wieder ab und zu in die Mahlzeiten einbeziehen. Weitere Fortschritte kann man durch gezielte Maßnahmen wie das bewusste Entfolgen von Influencern erzielen, die unrealistische Ernährungsstandards verbreiten. Wichtig ist zu erkennen, dass gesundes Essen nicht zwangsläufig mit Überwachung und Kontrolle einhergehen muss. Selbsthilfegruppen bieten zudem wertvolle Unterstützung, indem sie einen Raum für Austausch und Ermutigung schaffen. Hier können Betroffene sich verstanden fühlen und gemeinsam Wege finden, ihre Essgewohnheiten zu ändern, ohne sich allein gelassen zu fühlen.

Ein Gleichgewicht finden

Gesunde Ernährung ist wichtig für unser allgemeines Wohlbefinden, aber es ist ebenso entscheidend zu erkennen, dass auch vermeintlich „ungesunde“ Lebensmittel ab und zu ihren Platz haben dürfen. Ein Teller Pasta, ein Stück Pizza oder ein Stück Schokolade sind zwar nicht die besten Optionen für den Körper, wenn man abnehmen möchte, können aber der Seele gut tun. In Maßen genossen, haben sie kaum Einfluss auf Fitnessziele und können sogar Heißhunger vorbeugen, da strikte Verbote oft das Verlangen nach diesen Lebensmitteln verstärken.

Orthorexie zeigt, dass selbst ambitionierte Vorsätze für gesunde Ernährung, die ins Extreme gehen, mehr schaden als nutzen können. Daher ist es wichtig, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, das sowohl Körper als auch Geist nährt. Achtsamkeit im Umgang mit Lebensmitteln und das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse sind entscheidend. Die Gesellschaft sollte ein realistisches Bild von gesunder Ernährung vermitteln und extreme Ansichten vermeiden. Letztendlich geht es darum, das Leben zu genießen, ohne sich von strengen Regeln und Zwängen einschränken zu lassen. Und was der Seele gut tut, tut auch dem Wohlbefinden gut.

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