Oft erwische ich mich, wie ich lieblos “Hey, wie geht’s” kombiniert mit einer angehaucht persönlichen Nachricht an mein Match verschicke und eigentlich nichts dabei fühle. Außer vielleicht Überforderung. Oder sogar Ablehnung. Und dann lösch ich sie wieder, die App ins Glück. Ins vermeintliche Glück. Alles, was bleibt, ist innere Leere – und für diese gibt es mittlerweile einen Begriff: Das Online-Dating-Burnout.
Aber was steckt dahinter? Und bist auch du davon betroffen?
⇒ Warum Online-Dating krank machen kann, haben wir bereits im Beitrag über Ghosting & Co. erklärt.
Was ist das Online-Dating-Burnout?
Stell dir vor, du bist auf einer riesigen Party. Überall Menschen. Du redest, lachst, hörst zu. Immer gleiche Gespräche. Immer gleiche Fragen. Zusehends weniger Energie. Am Ende gehst du – leerer als zuvor. Was im echten Leben absolut logisch klingt, trifft aber auch auf die Online-Welt zu.
Online-Dating-Burnout ist zwar keine offizielle medizinische Diagnose, aber ein zunehmend beobachtetes psychologisches Phänomen. Es beschreibt emotionale Erschöpfung, Reizüberflutung und ein Gefühl der Frustration oder inneren Leere, ausgelöst durch die intensive Nutzung von Dating-Apps. Und die Zahlen zeigen, dass das Phänomen ein ernstzunehmendes ist.
Wie eine Forbes Health Studie zeigt, weisen 79 % der Gen Z eindeutige Symptome auf. Auch bei den Millenials sind mit 61 % weit mehr als die Hälfte davon betroffen. Ähnlich dem Erschöpfungssyndrom hat die digital-emotionale Variante ähnliche Anzeichen und Symptome.
Symptome des emotionalen Erschöpfungssyndroms
Das Bewusstsein über das Online-Dating-Burnout findet sich in immer mehr Studien wieder. Auch auf Universitäten bekommt es Einzug in Abschlussarbeiten. So untersucht auch eine Masterarbeit der Copenhagen Business School die Ursachen und zeigt mögliche Auswirkungen. Diese und weitere Symptome sind:
- Gefühl von Erschöpfung – vor allem beim Gedanken an neue Matches oder Chats
- Zynismus – nach dem Motto “Alle sind gleich” oder “Das bringt doch eh nix”
- Rückzug – bewusst oder unbewusst (z. B. Chats ignorieren, Apps löschen)
- Emotionales Abstumpfen – du bist bei neuen Matches nicht erfreut oder ghostest selbst andere
- Unzufriedenheit – mit sich selbst oder dem Datingprozess
- Innere Leere oder Hoffnungslosigkeit – vor allem in Bezug auf Dating- oder Beziehungsperspektiven
Mehr dazu: “Quiet Dumping”: Der Schlussmach-Trend, der fieser als Ghosting ist
Die Ursachen des Online-Dating-Burnout
Die Ursachen sind vielfach sehr individuell. Sei es, dass du dir häufig ein Match mit jemanden erhoffst, aber diese Personen dein Like nicht erwidern. Oder eben die übermäßige Auswahl. Aber grundsätzlich lässt es sich auf folgende Auslöser zusammenfassen:
- Reizüberflutung & Entscheidungsparalyse
Die Vielzahl an Profilen und Optionen kann überfordern. Psychologen sprechen hier vom sogenannten „Paradox of Choice“: Je mehr Auswahl wir haben, desto unzufriedener werden wir – das resultiert aus der Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. - Wiederkehrende Ablehnung (Micro-Rejections)
Jedes Nicht-Match, jede unbeantwortete Nachricht, jedes Ghosting wirkt wie eine kleine Zurückweisung. Und diese „Mikro-Ablehnungen“ können sich gerade im Online-Dating wahnsinnig schnell summieren – und damit das Selbstwertgefühl schleichend untergraben. - Emotionale Investition ohne Belohnung
Ständig emotionale Energie in Gespräche und Matches zu stecken – ohne Verbindung und ohne echtes Feedback – kann dich langfristig zermürben. - Überforderung
Viele Matches und zahlreiche parallele Unterhaltungen können darin enden, dass du dich folglich überlastet oder überreizt fühlst. - Self-Branding & Daueroptimierung
Viele spüren Druck, sich in den Dating-Apps perfekt darzustellen. Beispielsweise durch bearbeitete Bilder, sorgfältig gewählte Profiltexte, endlose Vergleiche mit anderen. Das ist anstrengend – und oft auch unehrlich. - Mismatch zwischen Wunsch und Realität
Die Plattform suggeriert Nähe und Romantik – aber oft bleibt nur Oberflächlichkeit. Der Wunsch nach echter Verbindung bleibt daher ungestillt. Und das macht auf Dauer müde. - Sich wiederholende, negative Muster
Schreiben, Treffen, Hoffnung, Kennenlernen, Enttäuschung, Rückzug und erneuter Versuch – diese Endlosschleife ist nicht nur ermüdend, sondern senkt auch die Motivation, sich dem nächsten oder übernächsten Date in gleicher Weise zu öffnen.
Die Liste der Ursachen könnte man gerade bei sehr spezifischen individuellen Eigenheiten ewig weiterführen. Da gibt es noch klassische Online-Probleme, die du sicher auch von Social Media im Allgemeinen kennst: Identifikationsverlust, Zeitfresser und die mentale Dauerpräsenz oder auch die Objektifizierung und das bewertet Werden.
Mehr dazu: Burnout oder Depression: Psychiaterin erklärt den Unterschied
Lösungsansätze: So entgehst du dem Online-Dating-Burnout
Es ist so einfach, wie auch sicher: Die Dating-Apps zu löschen, ist die wohl effektivste Lösung. Aber es löst leider nicht das Problem mit dem ungewollten Single-Sein. Daher haben wir für dich ein paar Tipps, wie du dein Glück suchen, aber trotzdem nicht dem Online-Dating-Burnout verfällst.
- “Intentional Dating” statt Dauerswipen
Lass nicht den Algorithmus und das Suchtverhalten entscheiden und dich zum dauernden Swipen hinreisen. Überlege vor dem Öffnen der App, warum du gerade Online gehst. Eigentlich leitet sich Intentional Dating von Slow Dating ab – ist eben nur im Online-Leben angesiedelt. - Digital Detox: Lege App-Pausen ein
Nur für ein paar Tage. Oder eben Wochen. Aber ghoste nicht: Denn damit würdest du den negativen Kreislauf weiter anstoßen - Erwartungen runterschrauben
Online-Dating heißt nicht, dass du zwingen die Eine oder den Einen findest. Gehe es locker an und steigere dich nicht zu sehr hinein. - Echte Gespräche suchen
Schreib nicht, was “gut ankommt”. Sondern schreibe, was du wirklich denkst. Zudem lernt dich so dein gegenüber wirklich kennen und nur so kann den Funke einmal überspringen. - Gefühle ernst nehmen
Du darfst müde sein. Du darfst traurig sein. Und du musst nicht immer online gehen. Aber kommuniziere es und zeig deinem Gegenüber, dass du gerade eine Pause brauchst. - Therapie statt Stille
Wie in so vielen Bereichen hilft auch hier Therapie. Manchmal tut es gut, mit jemandem zu sprechen, der neutral zuhört. Therapeutinnen und Therapeuten kennen dieses Thema längst.