Disclaimer: Die Informationen in diesem Text dienen ausschließlich allgemeinen Bildungs- und Informationszwecken und ersetzen keinesfalls eine professionelle medizinische oder psychologische Beratung. Psychische Erkrankungen sind komplexe und individuelle Zustände, die einer professionellen Diagnose und Behandlung bedürfen.
Konsequenzen der männlichen Identität
Obwohl sich die Gesellschaft zunehmend von traditionellen Geschlechterrollen entfernt, prägen alte Vorstellungen von „echter“ Männlichkeit weiterhin das Leben vieler Männer – mit teils dramatischen Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit. Eine neue Studie der Universität Zürich gibt erschreckende Einblicke in den Zusammenhang zwischen traditionellen Männlichkeitsbildern und einem erhöhten Suizidrisiko.
Die Forschung verdeutlicht, dass nicht alle Männer gleichermaßen betroffen sind, sondern dass ihre Haltung zu Männlichkeitsidealen eine entscheidende Rolle spielt. Weltweit liegt die Suizidrate bei Männern etwa doppelt bis viermal so hoch wie bei Frauen – doch die Anzeichen bleiben häufig unentdeckt. Was bedeutet Männlichkeit im 21. Jahrhundert und welche Auswirkungen hat diese Definition auf das psychische Wohlbefinden vieler Männer?
Was bedeutet Männlichkeit für Männer?
Diese Frage beleuchtet eine aktuelle Studie der Universität Zürich, die tief in die unterschiedlichen Auffassungen von Männlichkeit und deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit eintaucht.
Im Rahmen der Untersuchung, die auf Umfragen mit knapp 500 Männern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz basiert, wurden drei verschiedene Gruppen identifiziert, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen von Männlichkeit vertreten. Diese Auffassungen beeinflussen nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihr Risiko für psychische Krisen.
Für etwa 60% der Teilnehmer, die als „Egalitäre“ bezeichnet werden, hat Männlichkeit vor allem mit Gleichberechtigung und dem Ablehnen traditioneller patriarchaler Strukturen zu tun.
Diese Männer definieren sich nicht durch die klassischen Rollenbilder von Männlichkeit, sondern setzen auf Partnerschaftlichkeit und faire Verteilung von Macht und Verantwortung. In dieser Gruppe ist das Suizidrisiko am geringsten, was darauf hinweist, dass ein modernes, weniger starr definiertes Männlichkeitsverständnis psychisch stabiler macht.
Im Gegensatz dazu vertreten etwa 15% der Teilnehmer eine traditionellere Auffassung von Männlichkeit, die mit dem Begriff „Player“ beschrieben wird. Diese Männer legen großen Wert auf sexuelle Dominanz und patriarchale Werte und definieren ihre Männlichkeit über eine hohe Zahl an Sexualpartnerinnen und die Anerkennung als heterosexuell.
Obwohl ihre Einstellung zu Männlichkeit in vielerlei Hinsicht den klassischen Rollenbildern entspricht, zeigte diese Gruppe im Vergleich zu den „Egalitären“ kein signifikant erhöhtes Suizidrisiko.
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„Stoiker“ – die Risikogruppe
Die größte Gefährdung geht jedoch von der Gruppe der „Stoiker“ aus, die 25% der Studienteilnehmer ausmachten. Diese Männer halten besonders stark an traditionellen Geschlechterrollen fest und zeigen sich in vielerlei Hinsicht als emotional kontrolliert und unabhängig.
Ihre Männlichkeit ist eng mit der Vorstellung verbunden, keine Schwäche zu zeigen, ihre Probleme allein zu bewältigen und Risiken einzugehen. Ihr Lebensstil umfasst oft extrem risikobehaftete Verhaltensweisen wie schnelles Autofahren oder die Ausübung von Extremsportarten. Diese Werte und Normen können in schwierigen Lebensphasen gefährlich werden, da das Suizidrisiko in dieser Gruppe mehr als doppelt so hoch ist wie bei den „Egalitären“.
Für viele Männer dieser Gruppe sind die traditionellen Männlichkeitsideale nicht nur eine gesellschaftliche Norm, sondern eine persönliche Herausforderung, die sie in Krisensituationen besonders verletzlich macht. Ihre unnachgiebige Haltung gegenüber Emotionen und Schwäche kann in extremen Fällen zu fatalen Entscheidungen führen, da sie den Eindruck haben, ihre Schwierigkeiten alleine bewältigen zu müssen.
Wie das Unterdrücken der Emotionen schadet
Studienautor Lukas Eggenberger zufolge neigen Stoiker in belastenden Lebenssituationen oder psychischen Krisen dazu, in ein riskantes Denkmuster zu verfallen. Ihr Glaube, dass sie ihre Probleme allein lösen müssen und keine Schwäche zeigen dürfen, kombiniert mit einer erhöhten Risikobereitschaft, könne zu einem mentalen Tunnelblick führen, in dem Suizid als einziger Ausweg erscheine.
Die Untersuchung zeigt außerdem, dass viele dieser Männer aufgrund ihres Verhaltens oft zu spät als gefährdet erkannt werden. Ihre Schwierigkeiten treten selten in Form klassischer depressiver Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Antriebslosigkeit auf. Stattdessen äußern sie sich häufig durch körperliche Beschwerden, sogenannte somatische Symptome, oder durch impulsive und aggressive Verhaltensweisen.
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Traditionelle Rollenbilder – keine Frage des Alters
Interessanterweise zeigte die Studie auch, dass traditionelle Männlichkeitsideale nicht nur bei älteren Generationen verbreitet sind. Die Gruppe der Stoiker ist im Durchschnitt jünger als die anderen Gruppen. Das junge Erwachsenenalter ist eine prägende Phase, in der viele Männer versuchen, ihre Identität zu festigen. Dabei dienen konservative Geschlechterrollen oft als Orientierung.
Laut den Forschenden greifen besonders jüngere Männer auf traditionelle Ideale zurück, um ihre Rolle in der Gesellschaft zu definieren. Dieser Prozess der Identitätsbildung kann jedoch problematisch werden, wenn die traditionellen Normen zu rigide und einschränkend sind.
Die Lücken in der Prävention
Um das Risiko für Suizid in dieser besonders gefährdeten Gruppe zu senken, empfiehlt das Forschungsteam gezielte Präventionsmaßnahmen. Fachkräfte im Gesundheitsbereich sollten besser geschult werden, um die spezifischen Herausforderungen dieser Männer zu erkennen.
Andreas Walther, der Leiter der Studie, erklärt, dass hilfesuchende Männer häufig durch das Raster fallen. Ihre Beschwerden werden oft falsch interpretiert. Statt klassischen Symptomen wie Traurigkeit oder Antriebslosigkeit berichten sie häufig von körperlichen Problemen wie Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Beschwerden. Zudem drücken viele ihre inneren Konflikte nicht verbal aus, sondern durch aggressive Verhaltensweisen oder risikoreiche Handlungen.
Für die Prävention wäre es wichtig, dass Beratung und therapeutische Angebote besser auf diese Männer zugeschnitten werden. So könnten Ansätze entwickelt werden, die gezielt auf die Bedürfnisse der Stoiker eingehen und ihnen helfen, gesunde Wege im Umgang mit Emotionen und Stress zu finden.
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Rechtzeitig Hilfe holen
Wenn du selbst unter Suizidgedanken leidest oder jemanden unterstützen möchtest, der in einer Krise steckt, gibt es viele Hilfsangebote. Du kannst dich an Beratungsstellen und Notrufnummern wenden, die rund um die Uhr Unterstützung bieten.
- Telefonseelsorge
Tel.: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr
Bietet Telefon-, E-Mail- und Chat-Beratung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen oder Krisenzeiten.
Online unter www.telefonseelsorge.at. - Männernotruf
Tel.: 0800 246 247
Bietet Männern in Krisen- und Gewaltsituationen österreichweit rund um die Uhr eine erste Ansprechstelle.
Online unter www.maennernotruf.at. - Männerinfo
Tel.: 0800 400 777
Telefonische Krisenberatung rund um die Uhr aus ganz Österreich; bei Bedarf auch gedolmetschte Beratung; anonym, vertraulich, kostenlos.
Online unter www.maennerinfo.at. - Ö3 Rotes Kreuz Kummernummer
Tel.: 116 123
Erreichbar aus allen Netzen zum Nulltarif, absolut anonym, täglich von 16 bis 24 Uhr. Eine Erstanlaufstelle für alle Menschen in persönlichen Notlagen. Weitere Informationen unter www.roteskreuz.at. - Kinder- und Jugendliche
Die Website bittelebe.at richtet sich gezielt an Kinder und Jugendliche.
Rat auf Draht: Tel.: 147 – Beratung für Kinder und Jugendliche, anonym und rund um die Uhr. www.rataufdraht.at.
Kindernotruf: Tel.: 0800 567 567 – 24-Stunden-Telefonberatung in akuten Krisen sowie Konfliktsituationen.