Innovatives Schulprojekt: Kann Harry Potter die psychische Gesundheit von Kindern fördern?

psychische Gesundheit bei Kindern

Können Bücher unsere Psyche beeinflussen?

Wir alle wissen intuitiv, dass die Bücher, die wir in unserer Kindheit gelesen haben, oder die Filme, die wir gesehen haben, einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen – ob es nun um mutige Prinzessinnen, faszinierende Zauberer oder furchterregende Drachen geht. Doch Wissenschaftler:innen zeigen nun, dass es nicht nur eine subjektive Wahrnehmung ist. Die Auswahl der Literatur, die Kinder lesen, kann tatsächlich einen Einfluss auf ihre psychische Entwicklung haben. In einer Zeit, in der die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückt, startet ein innovatives österreichisches Schulprojekt, das die psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) junger Menschen fördern soll. Das Projekt nutzt die Geschichten des berühmten Zauberers Harry Potter, insbesondere den dritten Band Harry Potter und der Gefangene von Askaban, als Grundlage, um Schüler:innen im Alter von 11 bis 15 Jahren wertvolle Lektionen im Umgang mit Stress und Herausforderungen zu vermitteln.

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Hintergrund der Initiative

Ein wesentlicher Impuls für das Projekt geht von einer kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Public Health veröffentlichten Studie aus, die unter Beteiligung der MedUni Wien durchgeführt wurde. Diese Studie untersucht die Suizidprävention unter dem Aspekt der Transmission, also der Übertragbarkeit von suizidalem Denken und Handeln sowie von Hoffnungen und Bewältigungsstrategien. Schulen haben sich als wichtige Orte für diese Übertragung erwiesen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Suizid ist tragischerweise nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache in dieser Altersgruppe. Vor diesem Hintergrund hat ein Team um Thomas Niederkrotenthaler von der MedUni Wien ein Programm zur Suizidprävention im Klassenzimmer entwickelt, das auf der Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz basiert.

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Ein Buch, das Widerstandskraft lehrt

Harry Potter und der Gefangene von Askaban ist mehr als nur ein spannender Abenteuerroman; es könnte auch ein wertvolles Lehrbuch über Resilienz und den Umgang mit emotionalen Herausforderungen. In diesem Teil der Geschichte wird Harry mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten konfrontiert, darunter die Bedrohung durch die Dementoren. Diese düsteren fiktiven Wesen stehen im Roman symbolisch für Depression und innere Dunkelheit. Durch diese Erfahrungen lernen die Leser:innen, dass Traurigkeit und Rückschläge Teil des Lebens sind, aber auch Wege existieren, sich aus der Dunkelheit zu befreien. Die positiven Bewältigungsstrategien, die Harry entwickelt – wie das Suchen nach Unterstützung durch Freunde, das Finden von Stärken in sich selbst und das Üben von Selbstreflexion – bieten Jugendlichen Zugang zu den Themen psychischer Gesundheit. Diese wertvollen Lektionen zur Resilienz machen das Buch zu einem bedeutenden Werkzeug für die persönliche Entwicklung junger Leser.

J.K. Rowlings Verbindung zu Depressionen

J.K. Rowling hat offen über ihre eigenen Erfahrungen mit Depressionen gesprochen und erklärt, wie diese in die Charakterisierung der Dementoren eingeflossen sind. Sie sagte: „Ich kenne Traurigkeit, sie ist nichts Schlechtes. Zu weinen und zu fühlen. Aber eine Depression ist die kalte Abwesenheit von Gefühlen, eine echte Leere. So sind auch die Dementoren.“ Ihre persönlichen Kämpfe prägten nicht nur ihre Lebensgeschichte, in der sie als alleinerziehende Mutter mit finanziellen Schwierigkeiten, einer Trennung und dem Verlust ihrer eigenen Mutter konfrontiert war, sondern auch die Erzählweise in ihren Büchern. Das Schreiben wurde für Rowling zu einem zentralen Bewältigungsmechanismus in schwierigen Zeiten und bildet die Grundlage für das Harry-Potter-Curriculum, das in Schulen eingesetzt wird.

Die Struktur des Harry-Potter-Curriculums

Das Harry Potter Curriculum ist Teil des Suizidpräventionsprogramms und wurde speziell für den Deutschunterricht entwickelt. Es besteht aus zwölf Einheiten, die über einen Zeitraum von drei Monaten durchgeführt werden. In dieser Zeit lesen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam den Roman und bearbeiten verschiedene Übungen, die darauf abzielen, die Fähigkeiten von Harry Potter zu verstehen und auf das eigene Leben zu übertragen. Dabei werden auch zentrale Begriffe der psychischen Gesundheit wie Risiko- und Schutzfaktoren eingeführt.

Thomas Niederkrotenthaler umreißt den Ansatz des Programms: „Tatsächlich kann der Roman als Allegorie für Rowlings Erfahrungen und als einführende Anleitung zur kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) gelesen werden, die von Lehrer:innen im Unterricht vermittelt werden kann. Die Leser:innen begleiten Harry auf seinem Weg und lernen gemeinsam mit ihm, was es bedeutet, depressiv zu werden. Vor allem aber verstehen sie, wie er die Fähigkeiten der KVT nutzt, um einen Weg zur Resilienz zu finden.“ Aktuell werden die Leiter:innen von Sekundarschulen in Österreich zur Teilnahme am Projekt eingeladen. Ab dem Sommersemester 2025 beginnt die Umsetzung, die von Niederkrotenthaler und seinem Team wissenschaftlich begleitet wird.

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Die Darstellung von Depression und Resilienz

Ein zentraler Konflikt in Harry Potter und der Gefangene von Askaban ist der Umgang mit den Dementoren, die als Symbol der Depression interpretiert werden können. Diese Kreaturen rauben den Menschen Lebensfreude und Hoffnung. Harry selbst kämpft im Laufe der Geschichte mit seinen dunklen Gedanken und Erinnerungen, was ihn anfällig für depressive Zustände macht. Niederkrotenthaler betont, dass es in der Geschichte eine klare Entwicklung gibt: Harry lernt, dass er durch Nachdenken, durch liebevolle Beziehungen zu seinen Freunden und auch durch sportliche Aktivitäten wie Quidditch seine mentale Stärke aufbauen kann. Die Identifikation mit Harry Potter und seinen Erlebnissen bietet Lehrer:innen eine einzigartige Gelegenheit, die Themen psychische Gesundheit und Resilienz in den Unterricht zu integrieren und so die psychische Gesundheit der Schüler zu fördern.

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Praktische Umsetzung und erste Rückmeldungen

Das Projekt startet im Sommersemester 2025 in der Steiermark und bisher haben Lehrerinnen und Lehrer von 30 Schulklassen ihr Interesse bekundet. In Kärnten werden noch weitere Klassen gesucht, die an diesem einzigartigen Ansatz teilnehmen möchten. Die Reaktionen der Lehrerinnen und Lehrer sind durchwegs positiv und viele sehen in der Verbindung von Literatur und psychologischer Bildung eine wertvolle Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern bei der Bewältigung der Herausforderungen des Erwachsenwerdens zu helfen. Die Lehrer:innen betonen, dass die Themen des Buches oft mit den realen Herausforderungen übereinstimmen, mit denen ihre Schüler konfrontiert sind, wodurch die Diskussion über psychische Gesundheit in einer zugänglichen und verständlichen Weise gefördert wird.

 

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