Gender Health Gap: Expertin erklärt die Auswirkungen bei Kindern

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„Gender Health Gap“ – besonders gefährlich für Kinder

Männer und Frauen zeigen oft unterschiedliche Krankheitssymptome, reagieren unterschiedlich auf Behandlungen und haben zum Teil ein höheres Risiko, an verschiedenen Krankheiten zu erkranken. Deshalb wird in der Medizin immer deutlicher, wie wichtig es ist, geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diagnose und Behandlung zu berücksichtigen. Der Begriff „Gender Health Gap“ beschreibt das Problem, dass sich die medizinische Forschung häufig vor allem auf männliche Patienten konzentriert. Das führt zu Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung – besonders gefährlich für Kinder und Jugendliche, deren Körper und Gehirn sich noch in der Entwicklung befinden. Falsche Diagnosen oder Behandlungen können langfristige Folgen für ihre Gesundheit haben. Wie groß ist der Gender Health Gap bei Kindern in Österreich und was kann man dagegen tun? Darüber haben wir mit Yvonne Laminger, Klinische Psychologin und Spezialistin für Gesundheitspsychologie, gesprochen.

Spätdiagnose von Autismus bei Mädchen

Ein anschauliches Beispiel für den Gender Health Gap bei Kindern ist die Diagnose von Autismus, die bei Mädchen oft später gestellt wird als bei Jungen. Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die durch Probleme in der Kommunikation und im Umgang mit anderen Menschen gekennzeichnet ist. Laut Laminger sind autistische Mädchen oft besser in der Lage, ihr Verhalten zu kontrollieren und sich an soziale Erwartungen anzupassen, weshalb ihre Symptome weniger offensichtlich erscheinen. Sie erklärt: „Betroffene Mädchen und Frauen scheinen andere Fähigkeiten zu haben als Männer. Sie sind in der Regel ruhiger und können ihr Verhalten besser kontrollieren.“ Das führt dazu, dass Mädchen ihre Schwierigkeiten besser verbergen können, was die Diagnose verzögert. Während bei Jungen oft schon im frühen Kindesalter deutliche Auffälligkeiten beobachtet werden, zeigen autistische Mädchen ihre Schwierigkeiten oft erst im Schul- oder Jugendalter. Ihre soziale Unsicherheit wird oft als Schüchternheit interpretiert, da dieses Verhalten dem stereotypen Bild eines „braven Mädchens“ entspricht. Diese Unterschiede in der Symptomwahrnehmung und den sozialen Erwartungen tragen wesentlich dazu bei, dass Mädchen erst später diagnostiziert werden. Die Folge ist, dass die Krankheit erst erkannt wird, wenn bereits Begleiterkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen aufgetreten sind.

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Essstörungen bei Jungen seltener thematisiert

Der Gender Health Gap betrifft auch die Diagnose und Behandlung von Essstörungen. Zum Teil liegt es daran, dass Essstörungen traditionell als „weibliche“ Krankheit wahrgenommen werden. In der medialen Darstellung wird das Problem häufig auf Mädchen und Frauen fokussiert, was dazu führt, dass Essstörungen bei Jungen seltener thematisiert und diagnostiziert werden. Yvonne Laminger weist darauf hin, dass „eine Bagatellisierung von Essstörungen bei Männern vor allem in der medialen Bildsprache deutlich wird. Es wird selten dargestellt, dass auch Jungen von Essstörungen betroffen sind, obwohl sie zunehmend unter dem Druck der sozialen Medien und der gesellschaftlichen Schönheitsideale stehen. Der Druck, einem muskulösen und schlanken Ideal zu entsprechen, betrifft Jungen ebenso wie Mädchen, doch wird dieser Umstand oft ignoriert. „Für viele wird es als Stigma erlebt an einer Erkrankung zu leiden, die in der Gesellschaft als „nicht männlich“ erlebt wird. Dadurch werden Essstörungen bei Jungen viel seltener erkannt.“, so die Expertin. Diese verspätete Diagnose kann langfristige gesundheitliche Folgen haben, denn unbehandelt führen Essstörungen oft zu schwerwiegenden körperlichen und psychischen Problemen.

Wie können Eltern reagieren?

Wenn Eltern vermuten, dass ihr Kind an einer Essstörung leidet, ist es wichtig, frühzeitig auf Veränderungen im Verhalten zu achten. Essstörungen entwickeln sich oft schleichend, deshalb sollten Eltern und Lehrer genau hinschauen, wenn das Kind plötzlich weniger isst, an Gewicht verliert oder sich stark zurückzieht. Yvonne Laminger rät: „Eltern, aber auch LehrerInnen sollten Veränderungen im Verhalten in der Schule oder in der Freizeit ernst nehmen“. Wenn solche Verhaltensänderungen länger andauern oder sich verschlimmern, sollte unbedingt professionelle Hilfe, wie etwa von Psycholog:innen, in Anspruch genommen werden, um die Essstörung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Plattformen wie DocFinder können helfen, schnell eine geeignete Fachperson zu finden, um dem betroffenen Kind zu helfen.

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Jungen müssen Schmerzen oft unterdrücken

Ein weiteres wichtiges Thema im Zusammenhang mit dem Gender Health Gap ist die Wahrnehmung und Behandlung von Schmerzen, insbesondere bei Jungen. In vielen Kulturen wird Jungen schon früh beigebracht, Schmerzen zu ignorieren oder zu verbergen. Das Sprichwort „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ verdeutlicht eine Haltung, die emotionalen und körperlichen Schmerz bei Jungen und Männern als Schwäche darstellt. Laminger betont, dass solche Glaubenssätze zu ernsthaften psychischen Problemen führen können: „Nicht selten sind diese Glaubenssätze für psychisches Unwohlsein bis hin zu Erkrankungen verantwortlich.“ Wenn Jungen lernen, ihre Schmerzen nicht zu zeigen oder sie als unwichtig abzutun, kann das langfristige Folgen für ihre körperliche und seelische Gesundheit haben. Sie suchen seltener ärztliche Hilfe oder sprechen weniger über ihre Probleme, was Diagnose und Behandlung erschwert. Ein offener Umgang mit Schmerzen und die Anerkennung der Tatsache, dass auch Jungen Schmerzen empfinden und ausdrücken dürfen, sind daher sehr wichtig. Eltern und Fachkräfte sollten laut der Psychologin dafür sorgen, dass Jungen ermutigt werden, über ihre Gefühle und Schmerzen zu sprechen, ohne dafür verurteilt zu werden.

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Wie kann man Gender Health Gap verringern?

Um den Gender Health Gap im Gesundheitswesen zu verringern, sind zahlreiche Maßnahmen erforderlich. Yvonne Laminger fordert: „Der Bereich Gendermedizin muss mehr Gehör finden und weiter ausgebaut werden“. Sowohl das medizinische Personal als auch die Gesellschaft müssen für diese Unterschiede sensibilisiert werden, um eine gerechtere Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Zunächst muss der Bereich der Gendermedizin stärker in den Fokus gerückt und ausgebaut werden. Gesundheitspersonal sollte intensiver geschult werden, um geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnose und Behandlung besser erkennen und berücksichtigen zu können. Auch Eltern und Lehrkräfte sollten besser informiert werden, damit sie bei ihren Kindern auf Anzeichen von Krankheiten achten, die anders verlaufen können als bei Kindern des anderen Geschlechts. Eine stärkere Sensibilisierung für den Gender Health Gap kann dazu beitragen, dass Krankheiten bei Jungen und Mädchen gleichermaßen frühzeitig erkannt und wirksam behandelt werden.

Yvonne Laminger, Gesundheitspsychologin
Yvonne Laminger, Gesundheitspsychologin

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