Epilepsie bei Kindern: Ist eine seltene Mutation dafür verantwortlich?

Wie funktioniert die Signalübertragung im Gehirn?

Ein Einschnitt in das Leben der Familie

Ein Kind lernt seine ersten Worte, macht wackelige Schritte, und mit jedem Tag entdeckt es ein Stück mehr von der Welt. Doch dann kommen plötzlich Anfälle, scheinbar aus dem Nichts. Die Diagnose einer neurologischen Störung wie Epilepsie bringt nicht nur die Unsicherheit der Anfälle mit sich, sondern oft auch Entwicklungsverzögerungen – ein harter Einschnitt in das Leben der Familie.

Das Gehirn, ein hochkomplexes Netzwerk aus Milliarden von Nervenzellen, das Gedanken, Bewegungen und Erinnerungen steuert, funktioniert in solchen Fällen anders als gewohnt. Die normalerweise reibungslose Kommunikation zwischen den Nervenzellen gerät aus dem Gleichgewicht. Dadurch werden alltägliche Fortschritte, wie erste Worte oder das sichere Laufen, zu einer Herausforderung.

Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, um solche neurologischen Störungen besser zu verstehen. Ein Forschungsteam der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) hat nun eine seltene genetische Mutation entdeckt, die mit Epilepsien und Entwicklungsstörungen in Verbindung steht. Doch was bedeutet das für das Leben der Betroffenen?

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Das Leben mit DEE

Die entwicklungsbedingte und epileptische Enzephalopathie (DEE) ist eine schwere neurologische Erkrankung, die vor allem kleine Kinder betrifft. Sie äußert sich in wiederkehrenden Anfällen, die durch eine Fehlfunktion im Gehirn ausgelöst werden. Kinder, die an DEE leiden, haben oft große Entwicklungsverzögerungen: Sie sprechen später, beginnen später zu gehen und bleiben in ihrer kognitiven Entwicklung oft hinter Gleichaltrigen zurück.

Die wiederkehrenden Anfälle machen den Alltag zusätzlich schwierig und erfordern ständige medizinische Betreuung. Eltern und Familien sind oft rund um die Uhr damit beschäftigt, ihre Kinder zu unterstützen, sei es bei der Therapie oder im Umgang mit den psychischen und physischen Folgen der Erkrankung. Die Lebensqualität der Betroffenen ist durch die Krankheit stark eingeschränkt, und ihre Zukunftsperspektiven sind ungewiss.

Die genaue Ursache für diese Krankheit war lange Zeit unbekannt – doch eine neue Studie liefert nun erstmals Hinweise auf einen genetischen Zusammenhang, der das Verständnis dieser komplexen Erkrankung entscheidend erweitern könnte.

Wie funktioniert die Signalübertragung im Gehirn?

Um zu verstehen, wie diese Entdeckung die Behandlung von DEE und ähnlichen Krankheiten verändern könnte, müssen wir uns mit der Signalübertragung im Gehirn beschäftigen. Unser Gehirn ist ein wahres Netzwerk aus Milliarden von Nervenzellen, die ständig miteinander kommunizieren.

Diese Kommunikation ist entscheidend, um alles zu steuern – von unseren Gedanken über Bewegungen bis hin zu unseren Gefühlen. Damit diese Kommunikation funktioniert, müssen die Nervenzellen Signale austauschen, und das geschieht über elektrische Impulse.

Damit diese Impulse weitergeleitet werden können, müssen bestimmte Kanäle in den Nervenzellen geöffnet werden. Man kann sich diese Kanäle wie kleine Türen vorstellen, die bestimmte Teilchen, wie Kalzium-Ionen, durchlassen. Diese Ionen sind nötig, um die elektrischen Signale weiterzugeben und die Kommunikation zwischen den Zellen aufrechtzuerhalten.

Ein spezielles Protein, das α2δ-2-Protein, hilft dabei, diese Kanäle richtig zu steuern. Es sorgt dafür, dass der Fluss der Ionen genau geregelt wird, damit die Nervenzellen effektiv miteinander sprechen können. Wenn diese Steuerung gestört ist, kann die Kommunikation im Gehirn nicht mehr richtig ablaufen – und das führt zu ernsthaften Funktionsstörungen im Gehirn. Genau das ist der Punkt, an dem die neue Entdeckung der Forscher:innen ansetzt.

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Der Blick auf eine seltene Genmutation

Das Forscherteam der KL Krems hat eine seltene Veränderung im CACNA2D2-Gen entdeckt, die eine wichtige Rolle bei der Erkrankung DEE spielt. Dieses Gen ist dafür verantwortlich, ein Protein namens α2δ-2 zu produzieren, das für die richtige Funktion der Kanäle in den Nervenzellen sorgt – also für die „Türen“, durch die wichtige Teilchen wie Kalzium fließen.

Die Mutation, die als p.R593P bekannt ist, verändert das Protein so, dass es seine Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen kann. Die Forscher:innen fanden diese Mutation bei zwei Geschwistern, die mit DEE diagnostiziert wurden. Durch die Mutation sind weniger dieser α2δ-2-Proteine an der Oberfläche der Nervenzellen vorhanden. Das stört die Kommunikation zwischen den Zellen und führt dazu, dass die Kalziumkanäle nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten, was die gesamten Gehirnfunktionen beeinträchtigt.

Was passiert im Gehirn durch diese Mutation?

Die Entdeckung der Mutation und ihrer Auswirkungen bietet uns die Möglichkeit, neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns zu gewinnen. Das Forschungsteam untersuchte die Auswirkungen der Mutation bei Mäusen und stellte drei entscheidende Veränderungen fest:

1. Weniger hemmende Signale im Gehirn

Normalerweise gibt es im Gehirn sozusagen „Bremsen“, die verhindern, dass Nervenzellen zu schnell und zu stark feuern. Diese „Bremsen“ sind die GABAA-Rezeptoren, die hemmende Signale übertragen. Wenn diese Rezeptoren durch die Mutation weniger vorhanden sind, können die Nervenzellen unkontrolliert aktiv werden, was zu epileptischen Anfällen führen kann.

2. Störungen bei der Signalweiterleitung

Die Mutation beeinträchtigt auch ein Protein namens Synapsin, das dafür sorgt, dass Signale zwischen den Nervenzellen richtig weitergegeben werden. Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen, und ohne dieses Protein können die Signale nicht mehr effektiv übertragen werden, was die kommunikation im Gehirn stört.

3. Weniger Aktivität der Nervenzellen

Schließlich fanden die Forscher:innen heraus, dass durch die Mutation auch die elektrischen Signale in den Nervenzellen schwächer werden. Weniger Signalstärke bedeutet, dass die Nervenzellen nicht richtig miteinander kommunizieren können, was die Vernetzung der Zellen und die allgemeine Gehirnaktivität beeinträchtigt.

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Was bedeutet die Entdeckung für Betroffene?

Die Entdeckung dieser Mutation und ihrer Auswirkungen auf das Gehirn könnte die Behandlung neurologischer Erkrankungen grundlegend verändern. Sie zeigt, wie eine einzelne genetische Veränderung die Kommunikation im Gehirn stören kann, was einen neuen Blick auf Synaptopathien ermöglicht – Erkrankungen, die durch Probleme bei der Verbindung zwischen Nervenzellen entstehen.

Dr. Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs Physiologie am Department für Pharmakologie, Physiologie und Mikrobiologie der KL Krems und verantwortlicher Autor der Studie. „Diese Entdeckungen sind nicht nur für das Verständnis von DEE relevant, sondern bieten auch mögliche Erklärungen für eine Vielzahl von neurologischen Erkrankungen, die mit den α2δ-Proteinen in Verbindung stehen.“

Diese Erkenntnisse könnten helfen, Krankheiten wie Epilepsie oder andere kognitive Störungen besser zu verstehen und gezielter zu behandeln. In Zukunft könnten neue Medikamente entwickelt werden, die gezielt die Kalziumkanäle und das α2δ-2-Protein ansprechen, um die gestörte Kommunikation im Gehirn zu verbessern und so die Symptome zu lindern.

Ein Schritt in Richtung einer besseren Behandlung

Diese Forschung bietet einen völlig neuen Blick auf neurologische Störungen und zeigt, wie eine genetische Mutation die Gehirnfunktion beeinflussen kann. Das hilft nicht nur zu verstehen, warum Krankheiten wie DEE entstehen, sondern auch, wie sie in Zukunft besser behandelt werden könnten.

Die Identifizierung genetischer Ursachen für neurologische Erkrankungen ist ein entscheidender Schritt hin zu gezielteren Therapieansätzen. Wenn wir wissen, welche Gene und Proteine an der Entstehung der Krankheit beteiligt sind, können gezielt Lösungen entwickelt werden, die diese genetischen Fehler ausgleichen.

Diese Entdeckung könnte einen Wendepunkt in der Neurowissenschaft markieren und neue Wege in der Behandlung von Epilepsie und anderen neurologischen Erkrankungen eröffnen. Forscher:innen hoffen, dass ihre Arbeit helfen wird, frühere Diagnosen zu stellen und Therapien zu entwickeln, die auf den spezifischen molekularen Ursachen der Krankheiten basieren.

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