Adipositas: Neue IHS-Studie beleuchtet Folgen der Stigmatisierung

Adipositas

Adipositas: Eine wachsende Herausforderung

Adipositas und Übergewicht sind ein großes Problem der westlichen Bevölkerung und ist auch in Österreich ein Problem– für die Menschen selbst, aber auch für das Gesundheitssystem. Laut Statistik Austria sind knapp 35 % der Menschen über 15 Jahre übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m²), und etwa 17 % leiden an Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²). Diese Zahlen sind nicht nur schockierend, sie rufen uns auch zum Handeln auf. Wenn wir über die Auswirkungen von Übergewicht sprechen, geht es nicht nur um nüchterne Statistiken – es geht um Menschenleben und die täglichen Herausforderungen, denen sich die Betroffenen stellen müssen. Eine aktuelle Studie des IHS beleuchtet dieses tief verwurzelte Problem.

Weitreichende Folgen der Erkrankung

Adipositas ist kein Schicksal, das sich einfach hinnehmen lässt. Die gesundheitlichen Konsequenzen sind weitreichend und oft drastisch. Menschen, die mit Hochrisiko-Adipositas leben, verlieren im Durchschnitt fast fünf Jahre an Lebenserwartung und sind einem erhöhten Risiko für eine Vielzahl von Krankheiten ausgesetzt, darunter Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten. Übergewicht führt zu Insulinresistenz, erhöhtem Blutdruck und Entzündungen, die die Blutgefäße schädigen können. Außerdem belastet das zusätzliche Gewicht die Gelenke, was zu Arthritis und chronischen Schmerzen führt, während Schlafapnoe häufig auftritt und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Darüber hinaus kann sich Übergewicht negativ auf den Fettstoffwechsel auswirken, was zu einer nichtalkoholischen Fettlebererkrankung führen kann. Auch die reproduktive Gesundheit ist gefährdet: Unfruchtbarkeit oder schwere Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt sind die Folge. Wenn man bedenkt, dass jährlich etwa 4.000 Menschen an den Folgen von Adipositas sterben – das sind 8 % aller Todesfälle in Österreich – wird klar, dass dieses Problem weitreichende Auswirkungen hat.

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Stigmatisierung und psychische Folgen

Für viele ist Adipositas nicht nur eine Frage des Gewichts. Sie bedeutet oft ein Leben mit Einschränkungen, Stigmatisierung und einem ständigen Kampf gegen gesellschaftliche Vorurteile. Viele Betroffene leiden unter Depressionen, sozialer Isolation und einem verminderten Selbstwertgefühl, was häufig auf soziale Diskriminierung zurückzuführen ist. Diese negativen Erfahrungen verstärken den emotionalen Stress und führen häufig zu einem Teufelskreis aus emotionalem Essen, das zu einer weiteren Gewichtszunahme führt und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit verstärkt.

Darüber hinaus schämen sich viele Betroffene, behandelt zu werden, da sie befürchten, von medizinischem Personal verurteilt oder auf ihr Gewicht reduziert zu werden. Diese Scham vor der Behandlung kann dazu führen, dass notwendige medizinische Hilfe vermieden wird, was die Gesundheitsrisiken weiter erhöht. „Patient:innen mit Adipositas erleben häufig Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen und leiden gleichzeitig unter den gesundheitlichen Folgen der Erkrankung, die oft mit Einschränkungen im Alltags- und Berufsleben einhergehen“, erklärt Florian Kiefer, Endokrinologe an der MedUni Wien. Der psychische Druck beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich und verstärkt die soziale Isolation, da sich viele Betroffene aus Scham zurückziehen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist es wichtig, dass Präventions- und Behandlungsprogramme nicht nur auf körperliche, sondern auch auf psychische Unterstützung setzen, um den Betroffenen zu helfen, sowohl ihre körperliche als auch ihre mentale Gesundheit zu verbessern.

Steigende Zahl übergewichtiger Kinder

Besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern. Laut WHO sind in Österreich 30% der Buben und 22% der Mädchen im Alter von sechs bis neun Jahren übergewichtig. Laut der Childhood Obesity Surveillance Initiative leiden 10% der Buben und 6,7% der Mädchen in diesem Alter an Adipositas. Kinder, die bereits in diesem jungen Alter übergewichtig sind, haben ein erhöhtes Risiko, auch im Erwachsenenalter adipös zu sein. Das führt zu langfristigen Gesundheitsproblemen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen chronischen Krankheiten. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel sind die Hauptursachen für diese alarmierende Entwicklung. Die frühe Zunahme von Übergewicht unterstreicht die Dringlichkeit präventiver Maßnahmen bereits im Kindesalter, um die langfristigen gesundheitlichen Folgen zu mindern.

Belastung für das Gesundheitssystem

Aber Adipositas hat auch eine erhebliche wirtschaftliche Dimension. Jährlich belaufen sich die Gesamtkosten auf etwa 2,4 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 1,9 Milliarden Euro auf Gesundheitsausgaben, die zur Behandlung von Adipositas und den Folgeerkrankungen aufgebracht werden. Das ist eine immense Summe, die dringend für andere gesundheitliche Herausforderungen benötigt wird. Zusätzlich kommen indirekte Kosten hinzu, die durch Arbeitsausfälle entstehen und sich auf etwa 480 Millionen Euro jährlich belaufen. Fettleibigkeit führt nicht nur zu 537.000 Krankenhausaufenthalten, sondern auch zu 1,2 Millionen Krankenstandstagen pro Jahr.

Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomik und Gesundheitspolitik am IHS, äußert sich zu den Ergebnissen der Studie: „Angesichts dieser Zahlen ist dringender Handlungsbedarf erforderlich. Die Adipositas-Epidemie darf nicht als unwichtig abgetan werden; sie stellt ein zentrales Problem für die öffentliche Gesundheit und die wirtschaftliche Stabilität dar.“ Und während diese Zahlen nur die finanziellen Kosten darstellen, ist der menschliche Preis, den diese Erkrankung fordert, weitaus höher.

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Klare Forderungen der Adipositas-Allianz

Die österreichische Adipositas Allianz (ÖAA), ein Zusammenschluss von Fachärzt:innen und Patientenvertreter:innen, hat einen klaren Appell an die Politik gerichtet: Es ist an der Zeit, aktiv gegen diese chronische Erkrankung zu kämpfen. Die Allianz fordert die Anerkennung von Adipositas als eigenständige Krankheit, was dazu beitragen könnte, das Stigma abzubauen, unter dem viele Betroffene leiden. Adipositas hat nichts mit mangelnder Disziplin zu tun“, betont Florian Kiefer. „Es ist eine komplexe Erkrankung, die von vielen Faktoren beeinflusst wird, darunter genetische, psychologische und soziale Aspekte. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft diese Tatsache akzeptieren und uns bemühen, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen. Außerdem setzt sich die ÖAA dafür ein, dass mehr Maßnahmen zur Vorbeugung von Adipositas getroffen werden, um die Zahl neuer Erkrankungen zu senken. Die ÖAA fordert, dass Menschen mit Adipositas leichteren und fairen Zugang zu geeigneten Therapien erhalten, damit sie besser behandelt werden können.

Prävention und Sensibilisierung: Der Weg zur Besserung

Um die Adipositas-Epidemie zu bekämpfen, schlägt die ÖAA eine Reihe von Maßnahmen vor. Den Schlüssel zur Verbesserung der Situation sehen die Expert:innen in der Prävention von Adipositas im Kindesalter. Ein erster Schritt könnte ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel in Kinderprogrammen sein, um bereits bei den Jüngsten ein gesundes Bewusstsein zu fördern. Auch die Einführung einer Zuckersteuer wird als Möglichkeit diskutiert, den Konsum von zuckerhaltigen Lebensmitteln zu reduzieren. Darüber hinaus sollte der Sportunterricht in Schulen so gestaltet werden, dass er den Spaß an der Bewegung in den Vordergrund stellt, anstatt auf Leistung zu setzen. Dies könnte Kindern helfen, die Schwierigkeiten haben, sich zu bewegen, nicht zu demotivieren. Außerdem sollte Ernährungsbildung in den Lehrplan aufgenommen werden, um schon früh ein gesundes Verhältnis zu Essen zu fördern. In Japan beispielsweise dürfen Kinder beim Kochen helfen, was ihnen hilft, ein besseres Verständnis für gesunde Ernährung zu entwickeln.

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Adipositas betrifft uns alle

Die Herausforderung, die Adipositas mit sich bringt, betrifft uns alle – nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes. Es ist an der Zeit, dass wir diese Krankheit ernst nehmen und gemeinsam Lösungen finden. Die Stimme der Adipositas-Allianz ist klar und unmissverständlich: Es braucht einen gesellschaftlichen Wandel in der Wahrnehmung von Adipositas und ein umfassendes politisches Engagement. Indem wir die Ursachen von Adipositas angehen, können wir nicht nur die Gesundheit von Millionen von Menschen verbessern, sondern auch unsere Wirtschaft entlasten.

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